Ich wurde häufig von Kunden um eine Einschätzung der Wahl und ihrer Auswirkung auf die Wirtschaft gebeten. Dabei wurde eine deutliche Diskrepanz zwischen der vorherrschenden Einordnung der Wahl und der von Iceventure erwarteten Konsequenzen deutlich. Grund genug diese Punkte in einem Artikel rechtzeitig zum Wahlabend zusammenzufassen:
Merkel’s (Un-)Wahlkampf, große Koalition und Eurokrise - Strategieupdate September 2013
Die Erwartungshaltung der Unternehmen
Diejenigen, die mich fragten ordneten die Wahl hauptsächlich in einen nationalen Kontext ein. Wahrscheinlich, weil es der CDU/CSU und der SPD doch gelungen ist die Eurokrise aus dem Wahlkampf herauszuhalten. Die meisten sind der Meinung, dass die Wahlen wenig Einfluss auf die wirtschaftliche Lage, also das eigene Unternehmen, haben werden. Aus diesem Grund wird eher Schwarz-Gelb bevorzugt. Die Haltung der Kanzlerin Merkel in Europafragen wird gelobt. Im Hinblick auf die Eurokrise ist es Konsens, dass die Probleme des Euros bereits klar erkannt wurden und nur noch von der Politik abzuarbeiten sind. Die Liste der angestrebten Lösungen umfasst keine Eurobonds, sondern Sparmaßnahmen und die Einführung wirksamer Kontrollinstrumente innerhalb der EU. Damit ist die Krise angeblich abgehakt. Auch wenn es Enttäuschung über das Reformtempo gibt, wird erwartet, dass die Politik im Zweifelsfalle schon nicht „alles“ gefährden wird.
Es ist die Zeit eines säkularen Umbruchs …
Ich bin hier anderer Meinung, da wir uns meines Erachtens mitten in einem wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Paradigmenwechsel und einem säkularen Umbruch befinden. Auslöser dafür ist, neben den absoluten Schuldenständen der einzelnen Länder auf einem Niveau wie schon seit ca. 60 Jahren nicht, die Technologie des Internets, da es Informationsmodelle in noch unbekanntem Ausmaß verändert hat. In diesem Zeitfenster kommt es zu einem interessanten Paradox. Statt der moderierenden und stabilisierenden Rolle der Politik mit alle ihren Institutionen, ist diese nun die Letzte, die sich anpasst und bis zuletzt den Status quo verteidigt. Damit ist sie für die Veränderung eigentlich sehr unwichtig. Aber gleichzeitig ist sie grade mit falschem Aktionismus in Form von Stabilisierungsprogrammen gegen den neuen Status quo, die größte Gefahrenquelle für die wirtschaftliche Stabilität. Die Maßnahmen erreichen sogar das Gegenteil und verstärken die Krise langfristig.
Welche Beobachtungen rechtfertigen eine solche Aussage?
Was könnte also Ausdruck dieses Paradoxons sein? Auffällig ist der nicht vorhandene Wahlkampf und die Ruhe der Bürger im „Superwahljahr“. Dabei wäre doch angesichts der vielen Probleme sowie der andauernden Krise das Gegenteil zu erwarten. Deutlich wird dies an der AfD. Das eurokritische Lager hat nun eine Stimme bekommen. Dies löste aber, medial befördert, keine große Debatte wie zu Beispiel vor wenigen Jahren um die Piraten aus. Die „Ruhe“ und der Mangel an echten Sachdebatte stehen also diametral der Menge der Problemfelder gegenüber.
Der kleinste gemeinsame Nenner des Status Quo ist die große Koalition
Ich halte deswegen eine große Koalition für sehr wahrscheinlich. Vermutlich haben sich die großen Parteien hinter den Kulissen bereits darauf geeinigt, wenn das Wahlergebnis nicht doch noch für eine große Überraschung sorgt. Merkel könnte dieser machtpolitisch ohne Probleme vorstehen. Für die SPD wäre es immerhin ein Erfolg auch an der Regierung beteiligt zu sein. Es stellt sich also die Frage, was die Beteiligten dazu bewegen würde?
Eine Teilantwort gibt folgende These: Alle großen Parteien sind in Europa ausreichend eingebunden, um die Schwere der Krise zu kennen. Martin Schulz von der SPD ist z.B. Präsident des europäischen Parlaments. Damit dürfte ihnen inoffiziell bekannt sein, dass die Krise nicht bewältig ist. Es ist eher mit einem zweiten Ausbruch zu rechnen, eben weil die üblichen politischen Maßnahmen nicht mehr ausreichen.
Ein weiterer wesentlicher Aspekt der Antwort eröffnet sich durch eine kritischere Analyse der Wirtschaftsprogramme der Parteien. Um dies im Folgenden zu tun, möchte ich bei der Darstellung von Herrn Münchau auf Spiegel Online anknüpfen.
Hat die CDU wirklich kein Wirtschaftsprogramm?
Dazu kurz der Hintergrund: In mehreren Artikeln analysiert Münchau die Wirtschaftsprogramme der Parteien auf SPON mit einem tiefergehenden Blick, der in der deutschen Medianlandschaft leider die Ausnahme ist. Der SPD bescheinigt er dabei eine einseitige und falsche Ausrichtung im Wahlkampf auf die Regulierung des Finanzkapitalismus, der CDU, dass sie kein Wirtschaftsprogramm habe. Während ich vielen Punkten zustimmen kann, gibt es dennoch zwei Punkte, an denen er in meinen Augen entscheidend irrt.
Der eine ist zwar eher philosophischer Natur aber mit praktischen Auswirkungen. Ich bin nicht der Meinung, dass „die ideologischen Wirtschaftsdebatten der späten vierziger und der siebziger Jahre zurückkehren“, da es in einer mehrheitlich postmodern denkenden Gesellschaft keine reine Ideologiedebatte (und damit Lösungen) geben kann. Es ist sind die politischen Akteure und europäischen Volkswirte und Professoren, die noch in der Gedankenwelt der Ideologienkriege argumentieren, während alle anderen mittlerweile vernetzt denken. Diese Beobachtung erklärt den soziologischen Kontext und die entstandenen Denkstrukturen in der aktuellen Lage als Basis für eine große Koalition, weswegen ich sie hier auch genannt habe.
Darüber hinaus umreißt er die Gründe, warum eine große Koalition als Ziel angestrebt werden könnte. Der Schlüssel liegt im Vorwurf, dass die CDU kein Wirtschaftsprogramm hat. Das ist der zweite Irrtum. Auch wenn viele Kritikpunkte des Artikels stimmen – die CDU, besser gesagt die Kanzlerin, hat ein Wirtschaftsprogramm. Der Clou ist, dass es ohne Probleme von der SPD mitgetragen werden kann.
Das kognitive Modell und das damit implizite Programm der Kanzlerin
Dies wurde zwar nicht offengelegt, aber nach sorgfältiger Beobachtung von Frau Merkels Reaktionen in der Krise komme ich zum Schluss, das ihr kognitives Modell in Bezug auf makroökonomische Themen von drei Haltungen geprägt ist. Die erste Haltung ist die Überbetonung des Exportmodells als Allheilmittel. Dann hat sie von Kohl die Haltung übernommen, man könne ein politisch geeintes Europa auf Grundlage von wirtschaftlichen –politischen- Tauschgeschäften schaffen. Dies drückt sich in der Parole „Fordern und Fördern“ aus. Schließlich ist sie aus eigener Erfahrung überzeugt, dass die wirtschaftliche Eingliederung der DDR in die BRD ein Erfolgsmodell ist. Sie ist also dieser Logik folgend geneigt, Maßnahmen hieraus zu wiederholen.
Alleine diese drei Aspekte sind jeweils einen eigenen langen Artikel wert. Aber kommen wir direkt zum Punkt. Dieses Wirtschafts- und Denkmodell kann von der SPD in weiten Teilen geteilt werden. Export schafft Arbeitsplätze und Einnahmen für die Sozialpolitik. Die solidarische Umverteilung in der Europapolitk liegt der SPD ohnehin ideologisch nahe. Vermutlich würden 90% der SPD die Wiedervereinigung als Erfolg bezeichnen ohne sich mit den wirtschaftlichen-handwerklichen Fehlern, wie dem falschen Wechselkurs, auseinanderzusetzen. Nicht zu vergessen, dass die Frage Oskar Lafontaines nach den Kosten der Wiedervereinigung seine politische Sternstunde in Hinblick auf Realismus aber gleichzeitig auch sein politischer Abstieg war. In der Summe sind die politischen Positionen der einstigen ideologischen Gegner inhaltsgleich bzw. austauschbar geworden. Das bedeutet, dass die Kräfte nicht auf Reformen, sondern auf die Verteidigung des Status quo, somit auf den Erhalt der eignen Machtposition, konzentriert werden.
Der entscheidende Punkt dabei ist, dass dieses kognitive Wirtschaftsprogramm in keinster Weise den realen makroökonomischen Problemen eines gemeinsamen, aber falsch konstruierten, Währungsraums entspricht. Vielmehr ist es Ausdruck deutscher Mittelmäßigkeit, im Sinne von pflichtbewusstem technischem Abarbeiten von Aufgaben ohne neue Ansätze zu entwickeln oder zuzulassen.
Ein Denkmodell mit großem wirtschaftlichem Schaden
Um sich das vorzustellen, muss man sich überlegen, was es bedeutet, die europäische Krise innerhalb dieser drei Denkparadigmen lösen zu wollen. Ein gedankliches Szenario ist ein wirtschaftlich „starkes“, exportierendes Deutschland, das den Rest Europas insbesondere den Süden mit Leuchtturmprojekten und sozialem Ausgleich fordert und fördert; d.h. faktisch eine Europäisierung dt. Absicherungssysteme als politische Verhandlungsmasse. Dieser Gedanke ergibt aus politischem Kalkül heraus für alle politischen Seiten, auch für die Regierungen der anderen europäischen Länder, durchaus Sinn. Sichert er doch die Stabilität in Europa zumindest kurzfristig, in Legislaturperioden gerechnet jedoch lang genug.
Dieses Denkmodell lässt aber keine Debatte über die Problematik der Handelsungleichgewichte, eine Restrukturierung von Schulden, einer Rekapitalisierung des Bankensektors sowie einer nachhaltigen Lösung der der Krise zu Grunde liegenden Konstruktionsfehler zu. Diese können letztlich nur durch gemeinsame Anleihen oder eine Austrittoption „geheilt“ werden.
Auch hier ließe sich nun viel über die makroökonomischen Realitäten gegenüber diesem Denkmodell ausführen. Es ändert aber nichts am realistischsten Szenario. Eine große Koalition ist am Wahrscheinlichsten und ohne Anzeichen neuer Lösungsansätze absolut schädlich. Die politische Bewältigung der Eurokrise wurde seit 2008 verschleppt. Die Auswirkungen der „Nichtwahl“ sind also im Gegensatz zu den Erwartungen enorm, lassen aber in Hinblick auf Stabilität wenig Gutes erwarten.
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